Samstag, 6. Februar 2016

The Art of Hiking: Vom Bergstiefel zum Barfußschuh. Entspannt und beschwerdefrei Wandern für Jeden (2)


These boots are made for walking…

Dazu sind Stiefel gemacht, aber ich bezweifle, dass man das darin dauerhaft kann.

Die Frage, in welchem Schuhwerk ein Wanderer geht, hat erheblichen Einfluss auf die Wanderung an sich als auch auf die "Wanderkarriere".

Denn trage ich lieber Wanderstiefel  bzw. Wanderschuhe oder nicht besser Schuhe zum Wandern?


Wie sieht denn die Realität aus? 

Wer wandert, kauft sich Wanderschuhe, wer in die Berge möchte, kauft sich Bergschuhe, wer Trailrunning betreibt, kauft sich Trailrunningschuhe und wer auf der Straße joggen geht, kauft sich Joggingschuhe. Ist doch alles klar: für jeden Einsatzzweck den richtigen Schuh! 

Mir tun unsere steinzeitlichen Vorfahren  ganz schön Leid. Die hatten nicht die riesige Auswahl an spezialisiertem Schuhwerk und bewegten sich in einfachen Lederschuhen oder Barfuß durch die Welt.


Warum brauchen wir eigentlich für jeden Einsatzbereich andere Schuhe?

Ich glaube, dafür gibt es zwei Gründe. 




Löcher ins Moor treten mit schweren und klobigen Wanderstiefeln.


Der eine ist die Tradition. 

Im europäischen Alpinismus hat man schon früh klobige Lederstiefel verwendet. Diese wurden dann auch für Wandern in einfacherem Gelände gebraucht. Heute sind diese Stiefel nicht mehr ganz so klobig, dafür wasserdicht und gut gedämpft.


Wer rennt, möchte lieber leichte und luftige Schuhe tragen. Daher verwenden Trailrunner und Jogger leichte gut gedämpfte Laufschuhe.


So kann es vorkommen, dass jemand, wenn er zum Wandern in seinen Hauswald geht, die Wanderstiefel anzieht, die gleiche Person aber, wenn er die gleiche Strecke laufen möchte, die Tarilrunner oder Joggingschuhe wählt. Für die gleiche Strecke! Für die gleiche Wegebeschaffenheit!


Kommen wir zum zweiten Grund für die Spezialisierung des Schuhwerks:  
Die Industrie und ihr Marketing

Warum einen Schuh für alles verkaufen, wenn ich für jedes einzelne einen speziellen Schuh verkaufen kann? Damit kann man wunderbar Umsätze verdoppeln, verdreifachen und mehr.


Bleiben wir beim Wanderer in Wanderschuhen und beim Trailrunner  in Laufschuhen.

Beide bewegen sie sich im gleichen Gelände und auf gleichem Untergrund.

Der Trailrunner sagt, seine Schuhe müssen leicht sein, der Wanderer sagt, seine Schuhe müssen festen Halt und einen Knöchelschutz bieten. Warum kann der Trailrunner auf festen Halt und Knöchelschutz verzichten, wo er doch viel schneller unterwegs ist und das Verletzungsrisiko doch erheblich höher sein müsste?


Die Frage, welche Schuhe der Wanderer oder der Läufer trägt, wird nicht durch Nachdenken und kritische Reflektion beantwortet, sondern in einem reflexartigen unreflektierten Kaufverhalten: Wandern, also in den Outdoorladen, Laufen, dann ab in den Laufshop.


So einfach ist das!

Aber so einfach ist es nicht!



Die Frage nach den richtigen Schuhen lässt sich nicht mit dem Geldbeutel beantworten. Hier ist Eigeninitiative und eigenes Nachdenken gefordert.


Fangen wir mal mit Wanderstiefeln und Wanderschuhen an.

Wanderschuhe fixieren den Fuß im Schuh. Der Fuß arbeitet nicht mehr selbst. Er reduziert die Muskulatur. Der Fuß wird fast wie in einem Schraubstock im Schuh festgehalten. Der Schuh nimmt dem Fuß die Arbeit ab: er stützt und hilft beim Abrollen. Wanderstiefel und Schuhe haben eine superdicke griffige Sohle. Die Sohle soll verhindern, dass der Fuß den Boden spürt. Dies gilt als unangenehm. Dabei ist es die einzige Möglichkeit, sinnvoll zu gehen oder Laufen. Das Sohlenprofil ist aggressiv und hart, womit ein guter Grip erreicht werden soll. Tatsache ist, dass die Sohle tiefe Trittspuren hinterlässt und bei Schlamm und Nässe  ganz schnell keinen Grip mehr bietet, da das Profil verschlammt. 

Slightly overdressed: fette Goretex-Bergstiefel im sommerlichen Schottland


Wanderstiefel sollen das Umknicken durch den hochgezogenen Schaft verhindern. Tatsache ist aber, dass das nur ein Skischuh verhindern könnte. Im Wanderschuh ist immer noch zu viel Bewegung, da das Leder nachgibt (sonst könnte man darin nicht gehen). Ein Umknicken kann damit nicht verhindert werden, zumal der Fuß einige Zentimeter über dem Boden ist und dadurch die Reaktionszeit vermindert ist. Ist eben wie in Pömps.

Wandern in Wanderstiefeln ist wie Füße im Schuhkarton: kein Gefühl, unnatürliche Bewegungsabläufe, die als unterstützend (Abrollen!) verkauft werden, zu klobig und zu schwer.

Der Wanderstiefel ist ein Relikt aus alten Tagen, das von der Outdoorindustrie per Marketing am Leben gehalten wird.

Manchen ist der Wanderstiefel einfach zu klobig und zu warm im Sommer. Dafür hat man den Wanderschuh erfunden. Es handelt sich hier um einen Wanderstiefel ohne hochgezogenen Schaft. Damit fehlt ihm schon einmal das Hauptargument der Traditionalisten.

Jeder, der mit einem Wanderschuh unterwegs ist, könnte eigentlich auch einen Joggingschuh tragen. Er ist genauso gedämpft und unterstützt das Abrollen, ist wesentlich leichter, aber nicht ganz so robust.

Aber wozu denn robuste Schuhe?

Was macht man denn mit dem Schuh? Tritt man damit die Steine vom Weg? Fällt man damit Bäume? Eigentlich geht man nur damit! Dazu benötigt man keinen ultrarobusten Schuh. Kein Mensch würde in Sicherheitsschuhen samstags einkaufen gehen!

Wanderschuhe, ultrarobust.

Der Jogging- oder Trailrunningschuh ist eigentlich der bessere Schuh zum Wandern. Er ist luftig, er ist leicht und er hat die ach so wichtige Dämpfung. Manche sind sogar wasserdicht.

Noch ein Wort zur Dämpfung: Sowohl Wander- als auch Joggingschuhe sind mit Schaum gedämpft. Diese Dämpfung kann schon in kurzer Zeit platt gedrückt sein. Bei Dauergebrauch auf einer Wanderung spürt man schon nach knapp über einer Woche das Ausbleiben des Dämpfungseffektes, der uns noch im Outdoorladen dazu verleitet hat, den "bequemen" Schuh zu kaufen. Fehlt die Dämpfung, knallt die Ferse mit dem ganzen Köper- und Rucksackgewicht auf den Boden.Halleluja! Da sind Rücken- und Knieschmerzen vorprogrammiert.

Erfahrungsgemäß baut sich die Dämpfung über Nacht wieder etwas auf, aber der Effekt ist schon nach einer halben Stunde Belastung wieder verflogen.

Alle diese Schuhe - vom Bergstiefel bis zum Trailrunner -  haben gemeinsame Probleme, die das Wandern darin auf Dauer schmerzahft, beschwerlich oder unmöglich macht.

  • Die abgeschirmten, zur Nicht-Bewegung verdammten Füße.
  • Der Absatz, der den Fuß zum Auftritt auf und Abrollen über die Ferse zwingt.
  • Der Absatz, der den Fuß zu hoch über dem Boden stehen lässt.
  • Der Absatz, der die Ferse höher stellt als die Zehen
Dem Fuß wird in traditionellen Schuhe die Arbeit vollkommen abgenommen. Dies empfinden wir als bequem. Tatsächlich schaden wir unserem Körper mehr als uns lieb ist. 

Es gibt in Birma ein  Volk, das Ringe um den Hals trägt (zumindest die Frauen). Die Ringe werden jedes Jahr aufgestockt, so dass die Leute giraffenartige Hälse haben. Nimmt man die Ringe ab, brechen sich diese Menschen das Genick, weil keine Muskulatur vorhanden ist. Der traditionelle Schuh übernimmt ins unserer Kultur die Rolle der Ringe. Nur für die Füße.

Unsere Füße können unseren Körper jedoch viel besser beim Gehen und Laufen unterstützen, als wir ihnen das zutrauen. Wir müssen sie nur dazu wieder in die Lage versetzen..

Doch dazu mehr in Teil 3 der Blogreihe

Zu Teil 1.


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