Donnerstag, 24. März 2016

Wanderungen: Arran Coastal Way. Eine Berg- und Strandwanderung auf Schottlands südlichster Insel (1)


Zuerst werden wir den Arran Coastal Way kurz vorstellen, 

dann widmen wir uns umfangreich in Text und Bild dem Weg und der Stimmung, die man dort vorfindet.

Den Weg stellen wir in insgesamt 4 Posts vor.

Lochranza Bay, Blick über den Mull of Kintyre



Beginnen wir mit dem Allgemeinen:

Wir waren in der letzten Oktoberwoche unterwegs und hatten mit dem Wetter verhältnismäßig Glück. Auch wenn es geregnet hat und stürmisch war, warm war es immer. 
Der Herbst hat den Vorteil, dass es keine Midges sprich Moskitos mehr gibt. Durch die ständigen Wetterwechsel ergeben sich immer neue Lichtverhältnisse, die jedem Fotografen das Herz aufgehen lassen.

Eine Gezeitentabelle sollte man immer dabei haben. Viele Stellen sind bei Flut nicht passierbar. Alles weitere dazu findet ihr auf der Hompage des Arran Coastal Way.

Für wen ist der Weg geeignet:


  • für Alle abenteuerlustigen Schottlandfans
  • für Alle, die minimale Karten und Kompasskenntnisse haben
  • für Alle, die keine Höhenangst haben
  • für Steinzeitfreunde 

Für wen ist er nicht geeignet:

  • für Alle, die eine umfangreiche Wegemarkierung erwarten.
  • für Alle, die gerne auf gut gepflegten Wegen wandern möchten
  • wer nasse Füße meiden möchte, wandert hier besser nicht



Eine kleine Reise nach Arran



Arran – schon einmal davon gehört?

Nein? Ist nicht schlimm. Kennt sowieso kaum jemand. Selbst selbsternannte Schottlandkenner ziehen die Augenbrauen zusammen und suchen anscheinend irgendwo in der Ferne ( auch wenn’s nur im eigenen Erinnerungsvermögen ist!) nach der Antwort. Hab ich das schon einmal gehört? Verflixt nochmal! 

Arran ist eine Insel. 

Ach so! Jetzt erinner‘ ich mich! Gehört die nicht zu den Hebriden oder so?!

Schon weht der Hauch des Mystischen durch das Gespräch: eine Insel der Hebriden im Westen von Schottland. Und dazu noch ein so sonderbarer Name…

Nun ja, Arran ist die südwestlichste Insel Schottlands. Sie lässt sich zu Fuß bequem in einer Wochen umrunden. Der höchste Berg misst keine 900 Meter. Keine 5000 Menschen leben dort. Bei Stürmen und im Winter fällt oft der Strom aus. Eine Brücke dorthin gibt es nicht. Der Fährverkehr fällt dann natürlich auch aus.

Nun ist es Herbst. Genauer gesagt Herbstferien. Sie liegen dieses Jahr ziemlich spät. Die Tage werden sehr kurz. Die Uhr wird umgestellt. In einer Woche möchten wir die Insel umwandern.

Wie wir darauf gekommen sind? Gute Frage. Wir sind zufällig darüber gestolpert. Wir suchten nur einen Wanderwerg, den man bequem in einer Woche mit einer hohen Gute-Wetter- Wahrscheinlichkeit in Schottland wandern kann. Und es sollte nicht der West Highland Way sein. Und es sollte keine Probleme wegen Schnee geben. Und wir wollten in privaten Unterkünften übernachten.

Der Arran Coastal Way wurde von Cameron McNeish zuerst in einem Stück begangen und von Ihm stammt auch die erste Publikation.

Wer Cameron nicht kennt – ist nicht schlimm. Cameron McNeish ist ein mehr oder weniger selbstgefälliger grauhaariger schottischer Outdoorguru. Er produziert Outdoorsendungen für die BBC (so ähnlich wie bei uns „Unser schönes NRW“, allerdings mit klarem Bezug zum Wandern) und gehört zu den Redakteuren des größten britischen Outdoormagazins TGO. Cameron hat ferner den Sutherlandtrail und diverse Goretex-Trails ins Leben gerufen. Der große Sponsor legte wohl viel Wert darauf, dass sein Name in jeder Wegbezeichnung erscheint. Ist so ähnlich wie mit der Allianz-Arena. Aber egal. Cameron erweckt immer den Eindruck eines Elder Statesmen der schottischen Outdoorbewegung. Was er wirklich ist und für wen er sich hält, sind möglicherweise zwei paar Stiefel.

Sein Verdienst ist es jedenfalls, den Arran Coastal Way ins Leben gerufen zu haben. Dafür sei ihm Dank!



Wir wollen Euch nun von unserer Reise dorthin erzählen:

Ein Flughafen irgendwo in Deutschland. 
 Alles grau, alles zweckmäßig. Der Mensch ist nur ein Sicherheitsrisiko, Kunde oder Fluggast. Am Schalter geschäftige Abwicklungsfreundlichkeit. Der nächste Bitte.
Das dunkle grau wird nur von einigen Strahlern erleuchtet. Aus den Strahlen springen Produkte, Artikel und Schnäppchen in das Auge des meist passiven Betrachters. Das Auge wird von Marketingstrategen durch den Raum geführt. Jetzt links schauen. Noch hundert Meter bis zur Kontrolle. Ah, jetzt rechts!
Sicherheitskontrollen sind nicht schön. Sie sind sehr unangenehm. Die Beschäftigten (nur damit Sie auf keine dummen Gedanken kommen „beschäftigt“!) sind hier freundlicher als die auf freundlich trainierten am Schalter. Der Erste im Flughafen, der mir ohne darauf abgerichtet zu sein einen angenehmen Flug wünscht! Flugtickets OK.

Rucksack runter, Gürtel aus. Ab durch das graue Tor in eine andere Welt. Biep, biep. Wie im OP. So ähnlich werden die Menschen auch behandelt: alles wird seziert. Es könnte ja ein Terrorist dabei sein, böse Menschen, die nur Unschuldige umbringen möchten. Haben andere Ziele als der schöne Westen. Wir entmenschlichen hier alles anders.

Jetzt nur noch auf den Flieger warten. Die Shops sind relativ leer. Hier kauft nur, wer hier nicht wohnt. Der Blick auf das Rollfeld ist sehr interessant. Ein Kaffee dazu und die Hoffnung, dass sich die Anspannung legt. Jetzt ist Urlaubszeit. Das Gedränge und Gehetze der anderen Menschen macht es aber nicht leicht. Wieder ein Blick auf die Uhr. Erst fünf Minuten später und immer noch über eine halbe Stunde bis zum Aufruf. Einige holen ihre modischen Rechner heraus und surfen besinnungslos im Netz. Die meisten Leute sitzen einfach wie betäubt und warten und warten. Leben findet hier nicht statt. Es beginnt erst dort, wo man hinfliegt. Das Jetzt gehört noch nicht dazu, ist etwas was schnell vorbeigehen muss. Der Weg dorthin spielt keine Rolle. Erst dort ist alles besser. Immer auf der Flucht. Wovor? Vor sich selbst? Angst, seine Lebensführung in Frage zu stellen, hätte man nur einmal einen ruhigen Moment?

Noch mal auf die Toilette. Die werden so oft gereinigt, dass man sich schon fragen muss, ob wann man sie denn zur Verrichtung der Notdurft nutzen kann. Immer steht eine Putzfrau drin und wischt mit dem Lappen über den Boden. Alles ist feucht, schwül und klebrig. Das Urwaldfeeling stellt sich ein!

Wir gehen zum Gate und erwischen noch zwei Sitzplätze. Alle sind aufgeregt und können kaum den Aufruf erwarten, die Erlösung vom Warten , vom Stillstand, die Verheißung auf ein neues Glück.

Der Warteraum ist noch grauer und grober als die Architektur bisher. Sicherlich liegt es daran, dass man hier nichts mehr kaufen kann. Eyecatcher sind nunmehr überflüssig. Alle haben schon bezahlt, jetzt wird nur noch abgefertigt. Die steife Dame im Kostümchen wühlt durch einen Stapel Blätter. Ein kurzes Telefonat mit einer unbekannten Macht.

Die Mutter gegenüber kann ihr Kind nicht ertragen. Die Kleine zappelt und turnt auf dem Sitz herum, ist aber für ihr Alter erstaunlich ruhig. Die Mutter versucht, ihr weh zu tun. Die Kleine schaut sie verständnislos und fragend an. Die Mutter setzt die Kleine auf dem Stuhl zurecht, so dass sie ihr weh tut. Diesmal hat es geklappt. Die Kleine heult, die Mutter drückt sie an sich. Tut mir Leid! So viel unterschwelliger und unterdrückter Hass! Ich schaue weg.
Die steife Dame im Kostümchen telefoniert noch einmal. Immer noch mit der unbekannten Macht? Ein Rollfeldarbeiter öffnet die Tür hinter ihr, geht auf sie zu und flüstert ihr vertrauliche Dinge ins Ohr. Er ist sicherlich ein Botschafter der unbekannten Macht. Die Unruhe der Wartenden nimmt zu. Ist dies der Erlöser, der das Signal zum Start gibt? Er wird beobachtet wie eine Schlechtwetterfront von Westen. Im Gegensatz zu ihr zieht er kurz darauf wieder ab. 

Die steife Dame im Kostümchen drückt den Knopf am Mikro und bevor sie auch nur ein Wort sagen kann, stehen Alle vor ihr und versuchen den besten Startplatz für den Sprint in den Flieger zu erhaschen. So kennen sie es aus ihren grauen Leben im grauen Büroalltag. Die besten Plätze sichern, andere verdrängen, Einsatz zeigen. Rücksicht ist für Kinder. Alle sind genervt und gestresst. Warum nur? Ein unerträgliches Leben führen Sie. Sich selbst zu viel. Würde sie das Flugzeug vergessen, auch wenn sie als Letzte einstiegen? Ein Wunder, dass es keine Schlägerei gibt.

Unbeirrt von dem allem nuschelt und schlunzt die steife Dame im Kostümchen ihre Sätze ins Mikrophon. Jeder weiß, um was es geht, sie sagt es trotzdem noch einmal für alle und in zwei Sprachen. Die zweite Sprache ist offensichtlich nicht ihre Muttersprache.
Frauen und Kinder zuerst! Mit anders formulierten Worten aber mit gleicher Intention verursacht sie noch einmal ein Geschiebe und Gedränge. Die zu spät gedrängten, deren Kinder noch einmal auf Toilette waren, sie drängen mit aller Macht nach vorne. Die letzten werden die ersten sein! Wenigstens hier hat die heilige Schrift einmal recht.

Karten hinhalten, abreißen, bitte danke. Und schnell durch das enge Tor, durch den Geburtskanal des modernen Menschen, ganz in grau und mit der Hoffnung auf eine neue heile Welt.

Wieder geschäftsmäßiges Grinsen an Bord. Guten Tag. Wir suchen uns zwei Plätze dort, wo noch keiner sitzt. Rucksack hoch, Musik und Buch noch schnell raus. Die anderen drängen hinter mir durch. Mach doch platz, du stehst hier im Weg. Da bleibe ich doch extra mal an dir hängen und rege mich auf. So, alles erledigt, ach nein das Handy noch aus. Ich packe den Rucksack nach oben, setze mich hin. Wie Wasser im Fluß strömt die Hektik und Panik der Mitfliegenden um mich herum. Wie ein Stein im Fluß sitze ich auf meinem Platz. Nichts bringt mich hier für die nächsten eineinhalb Stunden weg. Nur noch Rucksackbänder und Handtaschengriffe streifen meinen Kopf bis sich die Aufregung gelegt hat, die Gepäckfächer geschlossen sind und alle sitzen.

Von Ruhe und Entspannung noch keine Spur. Die Gespräche verebben, die Stewardessen zählen die Passagiere noch einmal durch. Alle Gepäckfächer geschlossen.

Da jetzt alle im Flieger sind, kann es keiner erwarten, bis er abhebt. Die ersten schauen schon angestrengt nach vorne. Was ist los? Warum starten wir noch nicht? Ich habe es eilig! Warum nur? Ich verstehe diese Leute nicht.
Ich muss schmunzeln und denke an die Menschen, die auf dem Bahnsteig stehen, wenn der Zug etwas später kommt. Sie schauen den einfahrenden Lokführer mit vorwerfender Verachtung an. Ein strafender Blick, von gerechtem Zorn erfüllt. Unverschämt!

Die Kabinentür ist nun geschlossen. Eine der Stewardessen nuschelt „boarding complete!“ in die Lautsprecher. Die anderen nehmen Sie die Atemmasken und veranstalten die übliche Flugzeugaerobic. Niemand schaut zu, wie schon in den achtziger Jahren bei Jane Fonda.

Nun spricht der Kapitän zu uns. Er versucht, mit einigen fachmännischen Bemerkungen die Aufmerksamkeit der Passagiere auf sich zu lenken und die Meute zu beruhigen. Eine angespannte Ruhe stellt sich tatsächlich ein, aber nicht wegen der ausgefeilten Rhetorik des Piloten sondern weil jetzt alle wissen: es geht los!

Noch einmal werden die Landeklappen mit hellem Surren bewegt. Die Triebwerke werden nun lauter. Die Gespräche verstummen. Nur wenige führen weiter Konversation. Der magische Moment nähert sich, der die gestressten Alltagsmenschen in eine andere aber doch ganz ähnliche Welt transformieren soll. Eine Welt, abgesondert vom Jetzt. Nur noch Internet und Telefon sorgen für eine Ankoppelung und Vernetzung mit der Welt, die man hinter sich gelassen hat. Ganz aufgeben kann man nicht. Die Angst ist zu groß, fortgetrieben zu werden in grenzenlose Weiten ohne Kontrolle, ohne Richtung.

Der Flieger hat gedreht und rollt langsam auf die Startbahn zu. Die Anspannung hat sich bei Vielen wieder gelegt. Jetzt sitzen sie im Flugzeug, niemand holt sie mehr raus. Das Dröhnen der Turbinen wir immer lauter. Wie Vollgas mit angezogener Handbremse.

Plötzlich gibt der Pilot die Bremsen frei. Die Beschleunigung drückt die Passagiere nach hinten. Köpfe werden in die Stützen gepresst, um Kurz darauf wieder nach vorne zu schnellen: das große Einverständnis und die Einwilligung in eine sonnige Zukunft. Für Viele aber auch die Bestätigung, diesmal alles richtig gemacht zu haben. Keine Arbeit, kein Stress, nur Sonne und Ruhe. Eine kurzfristige Flucht in ein animiertes Bespaßungsprogramm. Motten fliegen zum Licht. Selbst hat man ja nichts mehr zu lachen. Vom Alltag gelähmt wie vom Stachel einer Spinne. Eingewickelt in Pflichten, Erwartungen und Forderungen wie das Opfer im Netz der Spinne. Aber, wenn alles so vorgegeben ist, liegt nicht auch eine Beruhigung darin? Keine eigenen Gedanken. So wie es ist, so wird es schon sein müssen. Fragen wir doch mal das Opfer der Spinne zum Thema!

Endlich in Schottland

Nach kurzer Flugzeit und den üblichen geschäftsmäßig genuschelten Durchsagen beginnt der Landeanflug auf Edinburgh. 

Das Wetter ist so, wie man es in Schottland erwartet: bewölkt und regnerisch.

Die Landung erfolgt trotz starkem Wind ungewöhnlich reibungslos. Läuft schon alles ziemlich professionell hier ab. Gekünstelte Lächeln drängen uns aus dem Flieger. Wir betreten Schottland, wir betreten eine andere Welt.

Obwohl Schottland nicht allzuweit von Deutschland entfernt ist, ist hier Alles anders.

Der Flughafen ist in Lilatönen gestrichen. Die Hallen sind hell. Die Angestellten spielen keine Höflichkeit, sie sind einfach nett und freundlich. Die Atmosphäre ist sehr entspannt. Niemand rempelt einen an. Niemand drängt. Man möchte den Flughafen nicht unbedingt schnell verlassen, er ist kein Durchgangsort. Dieser Platz lädt zum Verweilen ein.

Wir schnappen unser Gepäck und trollen uns zum Airportbus, der uns zum Bahnhof in Edinburgh bringen soll. 

Die Tickets verkauft vor dem Bus ein kleiner Inder oder Pakistani. 

Yes please?

Two tickets to Waverly Station please.

Two return tickets?

Yes please.

Bei der Farge nach den return ticktets durchzuckt es uns ganz leicht. Zurück kommen? Muss das sein? Wird wohl so sein müssen!

Der Doppeldeckerbus ist hell, sauber und geräumig. Alle finden für sich und ihr Gepäck Platz.
Nach knapp 30 Minuten Fahrt steigen wir am Hauptbahnhof aus. Der Dudelsackspieler an der Ecke Princess Street spielt und spielt und spielt. Unzählige Asiaten fotografieren kichernd den dickbackigen Vogel im kurzen Rock.

Blick über Edinbourghs Princess Street.


Anders als bei der Deutschen Bahn haben wir in all den Jahren in Schottland nie einen Anschluss verpasst. Wir erreichen den Zug, verstauen unser Gepäck in den dafür vorgesehenen Fächern am Wagenende und warten bis es los geht. Der Zug ist gut gefüllt, die meisten scheinen Berufspendler zu sein.

Die Schaffnerin kommt mit einem herzlichen "Tickets please!", streicht die Fahrkarte einmal mit Kugelschreiber durch und gibt sie uns wieder zurück, wobei sie uns noch einen angenehmen Tag wünscht.

Wir essen noch das ein oder andere Sandwich als uns plötzlich aus der Sitzreihe vor uns eine Stimme fragt

Höre ich da nicht jemanden Deutsch reden?

Nun, wir wussten nicht, was wir damit anfangen sollten. Was soll er denn sonst gehört haben? Was soll die Frage?
Da drehte er sich auch schon lächelnd um und begrüßte uns.

Es war ein sonderbares Kerlchen. Klapprig dünn mir runder Nickelbrille im käsigen Gesicht. Auf dem runden Schädel saß eine karierte Tweedmütze, die zu seiner Jacke und zur Hose passte. Kurzum, er war die Inkarnation von Nick Knatterton!

Er fing dann auch sofort an, zu erzählen.  Wer wir seien, wo wir herkämen, wo wir hinwollten und so weiter und so fort. Er kommt aus Mecklenburg-Vorpommern und schreibt an der Uni in Glasgow seine Disseratation. Vorher habe er aber in Edinbourgh studiert. Und Glasgow hätte die lebendigere Kulturszene. Und bei den schottischen Mädels liefe alles ganz traditionell ab. Wenn er mit einer ausgehen möchte, müsse er zuerst bei ihrem Papa vorsprechen. Ja und an der Uni würden sie alle sofort bemerken, dass er Deutscher ist. Bei ihm sei der Schreibtisch immer aufgeräumt. Und wenn er mal an einen Schreibtisch eines schottischen Kommilitonen gehen würde, müsste er immer erst einmal Platz schaffen und die Tastatur über dem Mülleimer rumdrehen, damit der ganze Dreck rausfällt. Und...

Susanne schaffte es nun, ihn in dem Moment zu unterbrechen, wo er das erste Mal Luft holte:

Über was schreibst du eigentlich?

Der dürre Knabe, war eine Millisekunde irritiert, fasste sich wieder und verkündete freudestrahlend:

Ich untersuche Hörschäden bei Orchestermusikern!

Hörschäden bei Ohr-chestermusikern???

Junge, Junge, das ist aber ein spezielles Thema!

Susanne hatte hier in ihrem Gesicht - natürlich nur ganz leicht - den Ausdruck größter Verachtung. Dazu kam etwas in ihren Augen, was mir zu verstehen gab, dass sie von ihm dachte, er hätte sie nicht mehr alle beisammen.

Dem Knaben selbst fiel das nicht auf. 

Er dozierte nun über seine Studie, die er in diversen Orchestern durchführte. Und wie interessant das Thema sei. Und wie tragisch die Schäden für die Musiker seien. Und wie schwierig die Forschung auf dem Gebiet sei. Und...

Susanne schaute kurz zu mir rüber und deutete ein verächtliches Kopfschütteln an.

Ja und habt ihr nicht über meine Forschung in der Süddeutschen Zeitung gelesen? Über zwei große Seiten!

Das saß! Bei uns ratterten die Hirne.    

Susanne konnte sich jetzt wieder erinnern:

Genau! Vor einem oder zwei Jahren im Wissenschaftsteil der Süddeutschen! In der Seitenmitte war ein Orchester abgebildet!

Der Knabe überschlug sich vor Freude:

Ja genau das. Das bin ich!

Mittlerweile ist auch mir gedämmert, was das damals in der SZ stand

Susanne und ich saßen beim Mittagskaffee am Küchentisch und Susanne laß die SZ. Sie nahm die Zeitung, drehte sie zu mir und ich konnte die beiden Seiten des Wissenschaftsteil sehen. Voller Verachtung sagte sie zu mir:

So eine Scheiße! Wie kann irgendein vernünftiger Mensch so eine Scheiße produzieren? Schreibt über den Mist auch noch eine Doktorarbeit! Was muss das für ein Mensch sein? Bleichgesichtig sitzt der bestimmt den ganzen Tag im Elfenbeinturm und hört sich abends Mahler-Symphonien an! Ein echtes Uni-Gewächs. Unfassbar überflüssig!

Ich nahm damals die Zeitung, während Susanne vor lauter Frust in den Kuchen biss.

In der Tat. Ich konnte keine 30 Sätze lesen von dem Artikel. So etwas Langweiliges und Überflüssiges habe ich noch nie gesehen. 
Ich schüttelte den Kopf und gab ihr die Zeitung zurück.
Sie wollte sie gar nicht mehr haben und sagte nur: Werf den Mist gleich weg! 

Genau so war es damals. Nun ja, jetzt saß uns der Typ gegenüber und war so glücklich, ein paar Unschuldige gefunden zu haben, denen er sein Leben erzählen konnte.

Zum Glück fuhr der Zug gerade in Glasgow ein. Wir packten alles zusammen und der dürre Knabe bot uns an, uns zur Busstation Buchanan Station zu bringen. Es wären ein paar Meter zu gehen. Und er müsste zufällig in die gleiche Richtung. Und...

Ja ist OK. Bring uns hin!

Nach fünf Minuten waren wir da. Er war überglücklich und sein Tag war gerettet. Er verabschiedete sich mit einem breiten Grinsen.

Blick über Glasgow.


Wir verstauten unsere Rucksäcke im Gepäckfach des Busses und jetzten uns gleich rein. 
Uns war es, als wäre ein Sturm über uns hinweggezogen. Jetzt kehrte endlich wieder Ruhe ein. Die Leute im Bus unterhielten sich und lachten und wir genossen die angenehme Fahrt zu unserem Fährhafen nach Ardrossan.

Glasgow kann auch furchtbar hässlich sein.


Der Gesprächssturm, der im Zug nach Glasgow über uns hinweggefegt war, hat sich hier an der Südwestküste zu einem echten Sturm manifestiert. Es war gar nicht leicht, sich auf den Füßen zu halten. Aber die Luft war warm. So warm wie ein kühler Sommertag. Und es war Ende Oktober!

Die Abfahrt der Fähre verzögerte sich etwas, weil anscheinend nicht ganz klar war, ob die Fähre überhaupt sicher den Hafen verlassen kann.

Dann startete das Schiff die mächtigen Motoren und verließ unter heftigem Schwanken den Hafen. Die Überfahrt dauerte knapp eine Stunde. Es war wie in der Achterbahn.
Susanne musste schon nach ein paar Minuten die Toiletten aufsuchen und blieb dort bis zur Ankunft in Brodick. 

Brodick von Norden aus.


Erleichert (im wahrsten Sinne des Wortes!) verlassen wir in Brodick das Schiff. Es ist nun fast dunkel. Die Straßenebleuchtung ging an. Alle Autos fuhren von der Fähre und wir waren ganz alleine auf dem großen Parkplatz. 

Der Hafen von Brodick mit Blick nach Norden.


Unsere Unterkunft befand sich oberhalb des Hafens auf den bewaldeten Anhöhen. Wir machten uns auf den Weg. Die Straße dorthin war leider gar nicht beleuchtet und so mussten die Stirnlampen etwas Licht ins Dunkel bringen.

Wir betraten ein großes altes Haus und die Herrin des Hauses führte uns ins Zimmer. 
Kurz Duschen, dann ab ins Bett. 

Morgen wartet die erste Etappe des Arran Coastal Way auf uns.   
 
  

  


    


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